Ich habe Jan Croonenbroeck bei meiner Arbeit in Darmstadt kennengelernt, wo er seit 2018 Studienleiter und Kapellmeister am Staatstheater ist. Jan stammt aus Münster und ist nicht nur im Opernbereich tätig, sondern auch Organist und musikalischer Leiter des Ensembles Seicento Vocale. Vor seiner jetzigen Tätigkeit arbeitete Jan an der Oper Stuttgart und am Staatstheater Nürnberg und war auch bei den Bayreuther Festspielen tätig. Seit er in Darmstadt ist, hat Jan viele Vorstellungen dirigiert, darunter Un Ballo in Maschera, Die Zauberflöte, Lucia di Lammermoor und das Musical Kiss Me Kate.
Für die englische Version, bitte hier klicken. Deutsche Version mit Sonja Bühling.
Man merkt mit den unterschiedlichen Sänger*Innen, dass sie aus sich heraus, aus ihrem Charakter, unterschiedliche Energien mitbringen und damit arbeiten.
Wenn du nicht in der Oper arbeiten würdest, welchen Beruf würdest du gerne ausüben?
Ich glaube, ich wäre Lehrer geworden, für Musik und Deutsch.
Wenn du mit einer berühmten Person aus der Geschichte zu Abend essen könntest, wen würdest du wählen?
Ich glaube Bach oder Bernstein. Oder beide zusammen – das wäre auch interessant. Ich frage mich, ob dann genug Platz für beide wäre. Vielleicht doch lieber separat.
Hast du ein Lieblingsinstrument?
Intuitiv würde ich Cello sagen, aber ich habe es nie weiter verfolgt.
Lieblingsoper?
Schnell gesagt vielleicht Peter Grimes. Es gibt ein gutes Dutzend Opern, die ich unglaublich gerne mag. Auf jeden Fall Peter Grimes, Jenufa ist dabei, und auch Elektra und Salome.
Bei Peter Grimes und Jenufa ist es nicht diese bekannte Dreiecksliebe-Eifersuchtsgeschichte. Es ist auf eine Art und Weise eine Handlung, die mir relevanter vorkommt als in anderen Opern. Und noch dazu ist die Musik unglaublich stark.
Lieblingskomponist?
Es war für lange Zeit Mahler. Aber irgendwie, seitdem ich in der Oper zu tun habe, habe ich mit Mahler nur noch wenig zu tun und er ist mir aus dem Blickfeld geraten. Mittlerweile sind es mehr die großen ‘Br’ der Musikgeschichte: Britten und Brahms.
Wie bist du zur Oper gekommen und warum hast du dich dafür entschieden, das als Beruf auszuüben?
Ganz sicherlich entscheidend war, dass ich in der Schule in der fünften Klasse im Kinderchor mitgesungen habe. Die Schule wurde gefragt, ob sie den Kinderchor bei Carmen im Stadttheater machen wollen, und das war mein Kennenlernen mit Oper. Da habe ich auf jeden Fall Blut geleckt. Wir haben Carmen gemacht und La Bohème und Evita und Jeanne d`Arc au bûcher von Honegger. Und als Pendereckis Paradise Lost geprobt wurde, habe ich erst noch mitgeprobt, war dann aber leider im Stimmbruch. Ich habe aber trotzdem bei den Proben zugeschaut, weil mich die Klavierproben schon so begeistert haben.
Ich war total begeistert von dieser Theaterwelt, deswegen fand ich es so schade, als ich in den Stimmbruch kam. Ich habe damals sogar dem GMD1, Will Humburg, einen Brief geschrieben und gefragt, ob ich hospitieren dürfte bei seinen Proben. Direkt beim ersten Abend, es war die Generalprobe von Götterdämmerung, hat er mir erlaubt, im Orchestergraben zu sitzen. Da war ich 13 Jahre alt und saß da mit einer großen Partitur, die ich aus heutigen Gesichtspunkten eigentlich gar nicht richtig lesen konnte, saß da im Orchestergraben und war einfach hin und weg von dieser Harmonik und allem um mich herum. Wie der Laden funktioniert und wie der Dirigent alle Fäden zusammenhält habe ich dann weiterbeobachtet und wusste, dass ich auch mal im Theater arbeiten will.
Dann habe ich erst einen Umweg über die Orgel gemacht. Ich fand Orgel vom Klangspektrum immer spannend. Ich habe dann erstmal angefangen, Kirchenmusik zu studieren, weil ich dachte, dass das eine gute Grundlage für das Dirigieren ist, dass man erstmal viel gelernt hat und vielleicht auch ein bisschen älter als 18 ist, bevor man sich vor ein Profiorchester zu stellt. Mein Traum war immer, im Theater Dirigent zu sein. Dann habe ich Orchesterdirigieren studiert.
Was bedeutet die Rolle des Studienleiters2 und warum wolltest du sie machen?
Ich fand es immer total wichtig, dass der Dirigent wirklich den Betrieb und alle Aufgaben kennt. Nur dann kann er sagen, warum was wie gemacht werden soll, wenn er auch wirklich eine Ahnung davon hat. Ich habe das Gefühl, als Repetitor lernt man die Opern sehr gründlich, und ich weiß nicht, wie das Leute machen, die nicht vorher Korrepetitoren waren. Das ist wahrscheinlich eine ganz andere Art, Stücke zu lernen. Ich bin froh, möglichst viel Repertoire als Korrepetitor zu lernen. Ein Reiz an der Stelle als Studienleiter ist natürlich, dass ich delegieren und dadurch ein bisschen mitgestalten kann, was meine Aufgaben sind.
Was gefällt dir an der Arbeit mit Sänger*Innen?
Ich finde, bei der Arbeit mit Sängerinnen und Sängern ist es total spannend, die selbe Rolle mit zwei verschiedenen gemacht zu haben. Ich bin kein Gesangslehrer. Die Sänger*Innen müssen einen großen Teil ihrer Arbeit mit der Stimme selbst machen. Es gibt sicherlich Korrepetitoren, die technisch viel mehr sagen. Das mache ich weniger. Man merkt mit den unterschiedlichen Sänger*Innen, dass sie aus sich heraus, aus ihrem Charakter, unterschiedliche Energien mitbringen und damit arbeiten.
Grundsätzlich wissen die ja, was der Dirigent oder der Regisseur braucht, das ist spannend- vor allem im Bereich der Kommunikation. Die Kommunikationsarbeit gefällt mir, jetzt noch mehr als Studienleiter als zuvor als Repetitor. Wie sehr man gezwungen ist, mit ganz anderen Bereichen zu kommunizieren, mit ganz anderen Abteilungen. Aber natürlich sind die Sänger diejenigen, mit denen man am engsten zu tun hat, und da finde ich es fast schade, dass ich jetzt weniger Einzelcoachings mache. Dafür bin ich aber auch froh, dass ich stattdessen dirigiere. Die Kombination „Studienleiter und Kapellmeister3“ ist genau die Erfahrung, die ich derzeit machen will.
Wichtig beim allerersten Nachdirigieren ist, den Laden nicht zu verwirren, sondern das ganze Schiff unfallfrei nach Hause zu bringen…Wenn das Tempo läuft, muss man generell ein Gefühl dafür haben, wann sie einen Dirigenten brauchen und wann nicht und dann auch wissen: was will ich noch beitragen?
Wie siehst du die Balance zwischen Dirigent und Studienleiter? Würdest du in Zukunft lieber mehr von dem einen machen oder diese Mischung beibehalten wollen?
Es ist eine Herausforderung, dem gerecht zu werden, den hohen Ansprüchen, die man sich selbst stellt. Eigentlich sollte der Studienleiter jedes Stück am Klavier darstellen können, und das habe ich mittlerweile, glaube ich, gut raus. Aber ich kenne natürlich nicht jedes Werk gleich gut. Im laufenden, täglichen Probenbetrieb, mit gleichzeitigen Umbesetzungen von Wiederaufnahmen oder spontanen Umbesetzungen bei Krankheitsausfällen, kann man nicht überall mitmischen wollen. Dafür gibt es ja ein Team aus talentierten, erfahrenen und motivierten Kollegen.
Ich bin froh über jedes Stück, das ich hier dirigieren kann, und bei denen, die ich „nur“ spiele, hoffe ich, dass ich sie so lerne, dass es mir hilft wenn mir dieselben hoffentlich irgendwo anders im Berufsleben wieder begegnen werden. Mit dieser Balance bin ich erstmal zufrieden, auch mit der Entwicklung davon. Ich bin gespannt, wie es weitergeht, wie lange es weitergehen kann. Es gibt weitere Ziele, noch mehr zu dirigieren, und irgendwann wird sich zeigen, was langfristiger die richtige Position für mich ist.
Was sind die Schwierigkeiten beim Nachdirigieren?
Obwohl jedes Stück bestimmt anders klingt, wenn ein anderer Dirigent es macht, hat mein Professor für mein allererstes Nachdirigat an der Hochschule gesagt, er bittet mich, seine Tempi zu übernehmen und nicht groß meine eigene Kunst zu machen, wie z.B. neue ritardandi zu erfinden oder so etwas. Und pragmatisch gesehen stimmt das natürlich. Wichtig beim allerersten Nachdirigieren ist, den Laden nicht zu verwirren, sondern das ganze Schiff unfallfrei nach Hause zu bringen.
Die sicherste Art ist es, alles möglichst exakt so zu machen wie der musikalische Leiter der Premiere. Und das wird auf jeden Fall ein guter Weg durch die Vorstellung sein, weil das Orchester total trainiert auf diese Tempi und auf diese Übergänge ist. Das studiere ich dann alles im Video von der Dirigentenkamera. Die Übergänge sind das Wichtigste, dass man die wirklich klar anzeigt. Wenn das Tempo läuft, muss man generell ein Gefühl dafür haben, wann sie einen Dirigenten brauchen und wann nicht und dann auch wissen: was will ich noch beitragen? Vielleicht sehe ich die Phrasierung oder den Spannungsablauf anders und will, dass es länger leise bleibt oder so etwas.
Das geht nur mit Vertrauen in die nonverbale Kommunikation. Ich bin sehr froh, dass ich das Gefühl habe, dass wir uns hier in Darmstadt ganz gut verstehen beim Musik machen! Dirigieren kann man nur lernen, wenn man das oft macht und dadurch immer freier und eigenständiger wird.
Welchen Rat würdest du Kollegen geben, die in deine Position kommen wollen?
Ich glaube, ich habe keinen guten Rat dazu. Wenn man das unbedingt machen will, dann soll man es einfach irgendwie tun. Man sollte dafür ein guter Repetitor sein, auch ein guter Dirigent, und Organisationsfähigkeiten mitbringen. Aber ich glaube, es gibt sehr verschiedene Arten, auf diesem Feld zu überzeugen. Es gibt verschiedene, individuelle Profile eines Studienleiters.
Es gibt manche, die sehr künstlerisch ambitioniert sind und weniger organisieren. Oder es gibt die, die viel akribischer organisieren und das Klavierspielen eher delegieren. Und keiner dieser Wege ist falsch. Es ist die Frage, was das Team im Theater gerade braucht und wo man damit hin will.
Du warst früher Organist – wie ich. Wie hat Dir das fürs Musikmachen geholfen?
Ich wollte eigentlich immer etwas mit Orchestermusik zu tun haben wollen und die Orgel ist auf eine Weise ein riesiges Orchesterimitat. In gewissen Stilen hat man quasi Aufgaben wie ein Dirigent mit einem großen Orchester. Man vergleicht ja auch gerne Sinfonien von Bruckner mit Orgelwerken. Da muss man sich über Klangfarben und das Finden der richtigen Balance und Registrierung Gedanken machen, wie wenn man als Dirigent die Partitur anschaut. Ich glaube, da gibt es eine große Schnittmenge zwischen Dirigieren und Orgel spielen.
Ich spiele total gerne Orgel, aber wenn ich das vergleiche, empfinde ich einen größeren Reiz an unserer Arbeit im Theater, da wir im Endeffekt alles gemeinsam im Teamwork gestalten. Das ist zwischendurch Segen und Fluch – aber am Ende steht immer ein gemeinsames Ergebnis.
Thielemann hat „Tristan“ und „Lohengrin“ auswendig dirigiert und geprobt und dabei jedes Wort mitsprechen können. Dieses Wissen ist unglaublich faszinierend und war toll mitzuerleben.
In 2018 hast du „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen mit Christian Thielemann gemacht. Was hast du da gelernt?
Es ist so faszinierend, wenn das Orchester so hochkarätig besetzt ist und der Dirigent die Stücke in- und auswendig kann. Thielemann hat „Tristan“ und „Lohengrin“ auswendig dirigiert und geprobt und dabei jedes Wort mitsprechen können. Dieses Wissen ist unglaublich faszinierend und war toll mitzuerleben.
Es war überraschend für mich, dass einzelne Solisten in Hauptrollen erst viel später dazukommen und dann szenisch das übernehmen, was ihr Proben-Cover davor mit dem Regisseur erarbeitet hat. Das war wohl zumindest in früheren Zeiten in Bayreuth streng verboten. Ich glaube, dabei gibt es in Bezug auf Team-Building einen Verlust und sicherlich verliert man auch auf der Regieseite.
Auf musikalischer Seite war es bereichernd, mit so vielen hervorragenden Korrepetitoren und Assistenten aufeinander zu treffen, meist Korrepetitoren oder Studienleiter von anderen Häusern. Und es war beeindruckend wie Stars später anreisen und sich sofort einfügen können. Ein erfahrener Dirigent wie Thielemann weiß genau, wann er wie wem helfen kann, und helfen muss. Das hat mir sehr imponiert. Ich möchte unbedingt bei nächster Gelegenheit wieder auf den Grünen Hügel.
Du hast auch in Baden-Baden mit Simon Rattle gearbeitet. Was hast du dort gemacht?
Das war „La damnation de Faust“ von Berlioz. Als ich noch Chorassistent in Stuttgart war, wurde der Staatsopernchor angefragt, den Chorpart bei zwei konzertanten Aufführungen in Baden-Baden im Festspielhaus, wo die Berliner Philharmoniker mit Rattle zu Gast waren, zu übernehmen. Zu repetieren hatte ich mit Rattle leider nur eine Probe, die allerdings leicht von der Hand ging, weil Rattle so freundlich war, einen guten Plan vom Stück hatte und immer noch Energie für den ein oder anderen Witz hatte. Das war künstlerisch eine schöne Begegnung. Ich hatte das Gefühl, es war ein sehr freies Musizieren, gleichwohl ich bestimmt Herzklopfen hatte, alles richtig zu machen und irgendwie möglichst auswendig zu spielen und möglichst viel mit den Augen an seinen Händen zu kleben. Ich kann mich bei ihm erinnern, dass ich mich sehr ermutigt gefühlt hatte zu spielen. Das fühlte sich gut an.
Möchtest du etwas über das Hawaii Opera Theatre sagen?
Gerne! Ich hatte das Glück, über einen Professor an der Hochschule in Detmold, Prof. Ivan Törzs, der sehr regelmäßig am Hawaii Opera Theatre dirigiert hat, dorthin vermittelt zu werden. Es war eine Art Austausch über die Universität.
Erfahrungsgemäß gibt es während einer Probenzeit für eine Neuproduktion eine Zeit, in der sich alle gegenseitig auf die Nerven gehen. Bei sechs Probenwochen ist das oft so in der dritten Woche der Fall. Das ist ganz normal und gehört zum kreativen Prozess immer dazu. Auf Hawaii fiel das sehr milde aus, da einfach alle gut gelaunt darüber sind auf Hawaii zu sein! Es war eine ganz besondere Arbeitsatmosphäre, vor allem wegen der Umstände: wenn man abends Zeit hatte, ging man kurz ans Meer und sah einen wunderbaren Sonnenuntergang. Ich wäre froh, mal wieder da zu sein.
Der Opernchor des Hawaii Opera Theatre ist richtig goldig und mit sehr viel Herz bei der Sache. „The Spirit of Aloha“ – das könnten wir an unseren deutschen Theatern auch immer gebrauchen und auch gemeinsam erzeugen, aber so extrem geht das wahrscheinlich nur auf Hawaii.
Beim Vorsingen achte ich darauf, ob es mich irgendwie berührt, ob die Intonation stimmt und wie es technisch bewältigt wird. Die wichtigste Frage ist natürlich, interessiert es mich, denjenigen auf der Bühne zu hören und auch zu sehen?
Was würdest du am deutschen Theatersystem ändern?
Ich habe das Gefühl, dass schon länger zur Diskussion steht, etwas bei den Castingsituationen zu verändern. Wenn es um eine Chor- oder Orchesterstelle geht ist es wichtig zu testen, wie jemand sich in eine Gruppe einbringt, was eine andere Kompetenz erfordert als die Frage, wie glanzvoll derjenige ein bestimmte Solonummer vortragen kann. Es erscheint mir manchmal als unglücklich, dass die erste Runde immer aus diesen vorgeschriebenen Solokonzerten besteht, die manchmal schon eine dicke Schicht von schlechten Erfahrungen an schlechten Tagen an sich haben. Das ist so ein Teufelskreis. Damit können sich einige Kandidat*innen nicht mehr bestmöglich präsentieren, die somit durchs Raster fallen. Ich glaube, vielen Sopranistinnen geht es zum Beispiel mit der Arie „Ach, ich fühl‘s“ aus der Zauberflöte so, die sie wahrscheinlich schon früh im Gesangsunterricht gemacht wurde und die dadurch noch mit alten Fehlern behaftet ist. Es ist sehr schwierig, diese alten Erfahrungen abzulegen. Es ist schade, dass sie aber dennoch immer darauf festgelegt werden müssen. Auf der anderen Seite ist zugegebenermaßen der Vergleich gut, dass jeder das Gleiche vorträgt. Aber ich glaube, das wäre eine Sache, die man weiterentwickeln soll.
Worauf achtest du beim Casting eines Sängers? Was ist für dich beim Coaching am wichtigsten?
Beim Vorsingen achte ich darauf, ob es mich irgendwie berührt, ob die Intonation stimmt und wie es technisch bewältigt wird. Die wichtigste Frage ist natürlich, interessiert es mich, denjenigen auf der Bühne zu hören und auch zu sehen? Das ist sicherlich ein Aspekt, der auch in Coachings eigentlich unter dem Strich immer wichtig ist. So wichtig alle Details auch sind, welche davon sind die, die dafür sorgen, dass ein Zuhörer/eine Zuhörerin im Publikum sich davon berühren lassen kann? Es ist unsere Pflicht, das immer wieder von außen zu betrachten und zu überdenken.
Es ist immer ein kleines Vergnügen, so orchestral wie möglich zu spielen. Zum Beispiel einen Akkord vom tiefen Blech oder den Streichern mit dieser gewissen Verzögerung, die der Orchesterapparat auch hätte, zu spielen. Als Repetitor merkt man wie gut ein Dirigent eine Partitur beherrscht und als Dirigent merkt man ebenso, ob der Repetitor auch die Partitur kennt oder nur den Klavierauszug.
Was wünscht du dir von einem Regisseur/einer Regisseurin?
Von einem Regisseur wie auch von einem Dirigenten wünsche ich mir in erster Linie, dass sie das Stück am besten von allen kennen. Ein hoher Anspruch. Aber das ist Voraussetzung dafür, dass sie oder er uns sagen kann, was er wie will. Wenn es schon nicht der Regisseur ist, dann sollte der Dramaturg an seiner Seite alles Mögliche über das Stück wissen und bloß nicht locker lassen mit dem positiven Einfluss auf die Arbeit. Ein Konzept soll wirklich Hand und Fuß haben um im besten Fall alle Produktionsbeteiligten zu überzeugen und somit zu vereinen. Dann können wir eine Geschichte so erzählen, wie sie vielleicht vorher nie erzählt worden ist.
Das ist ein Ideal, das nur selten erreicht wird. Es ist immer traurig, wenn das aus verschieden Gründen nicht wirklich gelingt und Musik und Regie dann nicht an einem Strang ziehen. Das fühlt sich immer etwas unangenehm an und genauso fühlt es sich prächtig an, wenn es gut zusammengeht. Dann ist es ein großes Gefühl von Theatergemeinschaft.
Als Repetitor, was erwartest du von einem Dirigenten?
Der Dirigent soll einfach die Partitur noch besser kennen als ich, wenn ich Klavier spiele. Dann kann es echt richtig Spaß machen, für den zu spielen.
Es ist immer ein kleines Vergnügen, so orchestral wie möglich zu spielen. Zum Beispiel einen Akkord vom tiefen Blech oder den Streichern mit dieser gewissen Verzögerung, die der Orchesterapparat auch hätte, zu spielen. Als Repetitor merkt man wie gut ein Dirigent eine Partitur beherrscht und als Dirigent merkt man ebenso, ob der Repetitor auch die Partitur kennt oder nur den Klavierauszug. Ich kenne das ja aus beiden Richtungen. Im besten Fall kann man sich da gut verbünden, weil Dirigent und Pianist beide große Lust auf das Werk haben und genau wissen, was sie tun. Dann sind auch Proben ohne Orchester sehr erfüllend.
Ich habe das Gefühl, dass gerade alles sehr auf einem Prüfstand ist, vor allem inhaltlich, weil wir uns als Gesellschaft immer wieder neu definieren.
Was ist die Zukunft für die Oper besonders in Deutschland und wie wird sie in 100 Jahren aussehen?
Ich hoffe, dass Oper nie aufhört, die Leute zu faszinieren und dass auch in 100 Jahren weiterhin Oper gespielt wird. Ich glaube, dass diese Corona-Pandemie uns sicherlich vor große Aufgaben stellt, auch noch für die kommenden Jahre. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es aufhören wird, die Menschen zu faszinieren, wenn wir alle zusammentreffen um großem Orchester, Kostüm und Bühne und mit wahnsinnig starken Stücken und tollen Stimmen im Musiktheater Geschichten erzählen. Denn der Mensch braucht immer Geschichten – das kann nicht aufhören.
Es ist sehr spannend, was sich von unserem heutigen Repertoire hält und was nicht. Ich habe das Gefühl, dass gerade alles sehr auf einem Prüfstand ist, vor allem inhaltlich, weil wir uns als Gesellschaft immer wieder neu definieren. Da gibt es offene Fragen: wie gehen wir um mit Political Correctness bei Operettenstoffen, die landläufig nie ohne Zigeuner auskommen oder was machen wir mit dem Frauenbild vergangener Epochen. Was interessiert uns heute an den klassischen Dreiecksgeschichten mit ‚Tenor liebt Sopran, Bariton ist aber dagegen‘? Es wird sich herausstellen, was davon weiterhin überleben wird und dann auch was von den Uraufführungen der letzten 60 Jahre uns weiterhin interessiert und bewegt.
Ich bin zuversichtlich, dass es weiterhin Opern geben wird, die, sogar wenn sie womöglich eine doofe Story haben, aber dazu geniale Musik, das Zeug dazu haben auch ewig zu überdauern.
Anmerkungen
- Der GMD (Generalmusikdirektor) ist der Chefdirigent*in eines deutschen Opernhauses. Er/sie hat das Vorrecht, was er/sie zu dirigieren hat und ist die oberste musikalische Instanz in allen musikalischen Angelegenheiten des Hauses.
- Der Studienleiter in einem deutschen Opernhaus (im englischsprachigen Raum oft als ‘Head of Music’ bezeichnet), ist für die musikalische Vorbereitung der Sänger und alle Planungen, die diese betreffen, verantwortlich. Er/sie ist auch für die Korrepetitoren und die Pflege der Musikinstrumente im Theater verantwortlich. Die Position wird oft mit der des Kapellmeisters kombiniert.
- Der Kapellmeister ist ein Dirigent in einem Theater, der oft mehrere Aufführungen in der Spielzeit dirigiert, sei es als “Nachdirigate” (Übernahme des Dirigats einer bestehenden Aufführung mit wenig oder gar keiner Einstudierung mit dem Orchester) oder als eigenes Projekt.