Katrin Gerstenberger gehört seit 1993 dem Ensemble des Staatstheaters Darmstadt an und wurde 2014 mit dem Titel Kammersängerin geehrt. Sie wurde in Halle in der ehemaligen DDR geboren, wo sie Gesang und Sport studierte. 1990 gewann sie den ersten Preis beim Nationalen Opernsängerwettbewerb. Danach begann sie ihr erstes Engagement in Gera, wo sie die Azucena in Il trovatore spielte. Im Jahr 2004 wurde sie dramatische Sopranistin und sang seither Partien wie Antigonae (Orff), Turandot, Leonore (Fidelio) und Brünnhilde in Wagners komplettem Ring-Zyklus.
Deutsche Version mit Sonja Bühling
Das ist das Spannende an unserem Beruf, dass du alles machen kannst – von Oper zu Operette zu Musical. So kannst du rausfinden, was alles in dir steckt. Alle Ideen, die du hast, kannst du auf der Bühne rauslassen – das finde ich schön.
Wenn du nicht in der Oper arbeiten würdest, welchen Beruf würdest du gerne ausüben?
Entweder hätte ich etwas mit Garten- und Landschaftsgestaltung gemacht oder irgendwas mit Tieren.
Wenn du mit einer berühmten Person aus der Geschichte zu Abend essen könntest, wen würdest du wählen?
Ich wollte schon immer mal Sir Peter Ustinov kennenlernen. Er hat ganz, ganz früh einmal Nero gespielt und ich fand, dass er ein toller Bühnenschauspieler ist. Von den Lebenden würde ich gerne Sean Connery nehmen. Der, finde ich, ist mit dem Alter immer besser geworden! Als Typ, als Schauspieler, einfach alles.
Hast du ein Lieblingsinstrument?
Ich finde schon die menschliche Stimme an sich ein tolles Instrument, gar nicht nur auf Oper bezogen, sondern wenn man überlegt, was für unterschiedliche Musik man mit der menschlichen Stimme machen kann: angefangen von z.B. Kehlkopfgesängen aus der Mongolei oder afrikanischen Gesängen – also es ist allgemein beeindruckend, was die menschliche Stimme an Lauten produzieren und was man da an Musik machen kann, selbst nur Beat-boxing oder auch nur reine Sprache – das ist mein Lieblingsinstrument.
Was ist deine Lieblingsoper?
Zu Singen: „Götterdämmerung“. Ruhig eine Oper anhören kann ich nur, wo ich definitiv nichts zu singen habe: „La Bohème“ zum Beispiel!
Hast du einen Lieblingskomponisten?
Mittlerweile Wagner. „Lohengrin“ war die einzige Wagner-Oper, die mir noch gefehlt hat. Alle anderen habe ich hier in Darmstadt schon gemacht.
Was die Sicherheit und das Ausüben des Berufs betraf, war es nicht zu vergleichen mit heute.
Du bist in Halle in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen. Wie war es damals, Musikerin und Künstlerin zu sein?
Was die Sicherheit und das Ausüben des Berufs betraf, war es nicht zu vergleichen mit heute. Die kleine DDR hatte 42 Theater (kategorisiert in A-,B- und C- Theater) und vier Hochschulen, die genau so viele Musiker ausgebildet haben, dass auch alle eine Stelle bekamen. Unsere Anstellung nannte man „Grabsteinverpflichtung“. Wenn du ein Engagement hattest und du dich nicht politisch bzw. künstlerisch danebenbenommen hast, dann hattest du die Stelle sicher bis zur Rente.
Ich habe 1990 in Gera begonnen und da könnte ich noch sein, wenn ich das gewollt hätte. Zu DDR-Zeiten war es ganz normal, dass man sich an einem Theater auch entwickeln kann. Die Entwicklung von jungen Sängern ins Ensemble hinein habe ich noch erlebt während des Studiums und noch drei Jahre nach der Wende. Das hat sehr gut funktioniert. Es wurden eben maximal 20 Solisten pro Jahr ausgebildet und ungefähr 60 bis 80 Chorsänger. Die bekamen alle auch eine Stelle.
Musstet man dafür vorsingen?
Ja, das nannte sich DTO (Direktion für Theater und Orchester), das war eine tolle Erfindung. Es gab jedes Jahr im Absolventenjahr im Februar in Weimar einen Markt wie eine große Börse. Da saßen in der Jury Gesangsprofessoren, Dirigenten, Operndirektoren, Intendanten und Regisseure, also Leute, die Ahnung hatten von Musiktheater, z.B. vom Berliner Metropol oder von der Staatsoperette Dresden, und die Opernhäuser waren vertreten.
Man hat da vorgesungen, also quasi wie eine Abschlussprüfung gemacht und bekam Punkte: auf Stimmmaterial, Stilistik, Persönlichkeit und auf Musikalität: maximal 25 Punkte. Man brauchte 21 Punkte für ein A-Theater, und so war das gestaffelt. Und wenn man Glück hatte, bekam man während des Vorsingens schon eine Interessenmeldung, bei der ein Theater gesagt hat, „ab Sommer werden Sie bei uns das und das singen.“
Ich hab da meine Prüfung gesungen und hatte eine Angebot von Schwerin, Chemnitz und Gera als Mezzosopran. Eigentlich ging es fast allen Solisten so, denn es gab nicht so viele – sie waren relativ streng in der Auswahl, wer wirklich tauglich ist für die Bühne. Es gab aber auch sehr, sehr gute Chorabsolventen, die dann Solostellen an kleineren Häusern bekamen.
Es gab noch nicht diesen Zustrom international. Es gab ein paar Sänger aus dem Ostblock – russisch, polnisch, bulgarisch. Das waren die, die die italienische Schule gut beherrschten, weil die bei uns in Deutschland nicht so verbreitet war. Wenn du dann dort deine Punkte und deinen Job hattest, kamst du gut unter und hast dein Geld verdient. Dass man als Künstler Angst haben musste, arbeitslos zu werden, war erst einmal nicht gegeben.
Wenn du politisch nicht konform warst, hätte es eventuell Probleme geben können, das habe ich aber nie miterlebt. Das lag aber auch daran, dass ich 1990 mit dem Studium fertig geworden bin, also genau zur Wende – ich habe bis zum 31. Juli 1990 noch ein Stipendium von der DDR bekommen und am 1. August hatte ich meine erste Gage in D-Mark erhalten.
Der Unterschied zu den Sportlern war allerdings, dass man als Künstler nicht reisen durfte. Das hätte ich mir gewünscht, dass man sich auch als Künstler international messen hätte können. Das ging dann ab Januar 1990, dass man raus konnte, aber das System, das wir jetzt hier haben, mit den Agenturen, das halte ich auch nicht für gesund. Es gibt so viele tolle Sänger in Stadttheatern, aber dort gehen keine Kritiker hin, und wenn die Sänger nicht in der richtigen Agentur sind, werden sie schwerlich eine Karriere machen. Das war zu DDR-Zeiten einfacher möglich.
Es gab auch schon die Opernstudios, wo man junge, vor allem dramatische Stimmen langsam aufbaute und ihnen die Zeit gab, sich zu entwickeln. Es gab richtige Pläne – was mache ich mit einer dramatischen, jungen Stimme – was darf sie singen? Wie oft darf sie singen? Und sie musste beschäftigt werden.
Hattest du das Gefühl, dass du politisch korrekt bzw. vorsichtig sein musstest?
Ich habe damit nie ein Problem gehabt. Ich habe in Weimar studiert, und Weimar war ein bisschen ab von der großen Politik. In Berlin oder Leipzig war das mit Sicherheit ein bisschen mehr unter Kontrolle. Ich kann mich an ein Konzert zum Geburtstag der DDR in 1989 erinnern, und da gab es ein Orchester, zusammengestellt aus allen vier Hochschulen. Die sollten nicht, wie üblich, in schwarz-weiß spielen, sondern in der blauen FDJ-Bluse (Uniform). Und die haben sich geweigert, weil sie sagten „wir sind Musiker und die Orchester sind überall schwarz-weiß.“
Daraufhin wurde dieses Konzert abgesagt und am nächsten Tag stand eine hervorragende Kritik über das Konzert in der Zeitung und es gab die Order von der Regierung und vom Kulturministerium, alle Musiker zu exmatrikulieren, die sich geweigert haben. Und ich weiß, dass zwei Hochschulen das gemacht haben, aber in Weimar hat der Rektor das nicht gemacht.
Du bist seit über 25 Jahren festangestellt in Darmstadt. Was gefällt dir an einer Festanstellung und warum wolltest du so lange fest bleiben?
Ursprünglich wollte ich in Darmstadt nur gastieren. Aber ich habe vorgesungen und dann haben sie mir einen 2-Jahres-Vertrag angeboten. Dann habe ich hier meinen Mann kennengelernt und es machte Sinn, hierzubleiben. Musikalisch bin ich hier auch zu Hause und zusätzlich konnte ich auch ein bisschen gastieren.
Der Vorteil ist natürlich das feste Gehalt. Egal, wie es dir geht, wie gesund oder wie krank, du hast jeden Monat deine Miete und deine Krankenversicherung zu bezahlen. Du gehst jeden Abend nach Hause in dein eigenes Bett, du hast feste Kollegen, die man sehr gut kennt. Und was man auch sagen muss, das Darmstädter Publikum kommt oft und es liebt sein Ensemble. Sie können sehen, wie unterschiedlich die Sänger in verschiedenen Rollen sein können.
Das ist das Spannende an unserem Beruf, dass du alles machen kannst – von Oper zu Operette zu Musical. So kannst du rausfinden, was alles in dir steckt. Alle Ideen, die du hast, kannst du auf der Bühne rauslassen – das finde ich schön. Heutzutage finde ich es schade, dass immer mehr spezifiziert wird. Die sagen dann ‚ich will einen blonden Mezzo’ oder ‚schwarz-haarigen Mezzo’ und alles nach Typ. Früher durfte ein Mezzo alles singen, bekam eine Perücke auf und musste den Typ spielen. Heute wird gezielt nach einem bestimmten Typ gesucht.
Kannst du dir aussuchen, was du spielen wirst?
Nein, das ist von deinem Fach1 abhängig. Also ich habe einen ganz guten Vertrag, der ist genau spezifiziert auf dramatischen Sopran und alles andere nach Absprache und Individualität. Als ich angefangen habe, hieß das lyrischer Mezzo nach Individualität, und das hieß von Händel-Koloratur bis „Rosenkavalier“, einfach alles. Wenn du jung bist, ist das sehr gut, weil du noch gar nicht weißt, wo deine Stärken sind.
Kannst du die KS-Ehre für diejenigen erklären, denen das nichts sagt?
Das ist eigentlich ein Ehrentitel, für den du mindestens 15 Jahre an einem Haus angestellt sein musst. Es ist für die künstlerische Leistung und die Verdienste am Theater.
Du bist auch Ensemble-Sprecherin. Was machst du in dieser Rolle?
Man ist das Bindeglied zwischen dem Ensemble und erstmal dem Operndirektor und zu den Leuten, die die Chefs sind. Das Ensemble ist immer klein, also die Lobby ist nicht so stark, und es gibt Dinge, die nicht nur einen persönlich treffen, sondern die Organisation im Allgemeinen. Ich gehe hin und beschwere mich für die Gruppe! Im weitesten Sinne bin ich ein bisschen die Mama vom Ensemble.
Wenn du auf der Bühne stehst und gerade bei Wagner, wo du so einen fetten Orchesterteppich ausgerollt bekommst, es ist wie eine Rolltreppe, wo du nur einsteigen und mitfahren musst.
Was sind die wichtigsten Dinge, die sich im Laufe deiner Karriere in der Opernwelt verändert haben?
Jetzt muss alles immer schneller gehen. Die musikalische Vorbereitung, also das Ensemblesingen, ist deutlich kürzer geworden. Als ich in Gera angefangen habe, hat man szenisch kürzer geprobt, aber musikalisch mit den Dirigenten viel länger. Dafür hatten wir mindestens sechs Wochen Zeit. Man musste auch dabeisitzen und zuhören, auch wenn man selbst nicht gesungen hat, und sehen, was zwischendurch passiert, sodass du wusstest, wie die Musik ist und wie du reagieren kannst. Dann ist man zu den szenischen Proben gegangen, ohne Noten. Dadurch war man viel sicherer und daraufhin ging das szenische Arbeiten auch viel schneller.
Ist es jetzt schwieriger für junge Sänger?
Ich glaube schon, weil viele Agenten größtenteils überhaupt nicht mehr die Sänger entwickeln wollen. Sie wollen Geld verdienen. Da interessiert sie überhaupt nicht, ob sie den Sänger mit einer Partie kaputtmachen, da sie noch fünf andere in petto haben, die nachkommen könnten. Das heißt, sie sind gar nicht so verpflichtet, sorgsam mit dem Material, was kommt, umzugehen.
Die Theaterlandschaft hat sich ja etwas gewandelt, es sind viel weniger Theater geworden. Die Finanzierung wird immer schwieriger und ich befürchte, dass nur einige wenige, die den Beruf studiert haben, ihr ganzes Arbeitsleben lang das machen können. Wenn ich will und kann, könnte ich bis zur Rente singen. Bei denen, die jetzt jung sind, Anfang 30, sieht man ja auch schon, dass sie sich teilweise ein zweites Standbein aufbauen und z.B. in Richtung Pädagogik gehen.
Man muss einfach heutzutage davon ausgehen, dass man diesen Job nicht so lange hat. Und je älter man wird, besonders in den Frauenfächern, als z.B. lyrischer Sopran oder Soubrette, das wird mit 40 ganz schwer, freischaffend zu arbeiten. Es sei denn, du hast dir schon einen Namen gemacht. Falls nicht, braucht man einen Plan B.
Was sind deine Höhepunkte deiner bisherigen Karriere?
Ich würde sagen, als ich innerhalb von vier Tagen den ganzen Ring gesungen habe. Ich mochte Wagner überhaupt nicht, ich war ein großer Verdi-Fan. Und dann, wenn du es einmal singst, dann hängst du so an der Droge – es ist einfach saugut geschrieben für die Stimme. Es liegt so gut. Der war als Musiker unglaublich schlau. Als Mensch, bin ich mir sicher, hätte ich ihn nicht gemocht, aber ich mag das, was er da geschrieben hat.
Wenn du auf der Bühne stehst und gerade bei Wagner, wo du so einen fetten Orchesterteppich ausgerollt bekommst, es ist wie eine Rolltreppe, wo du nur einsteigen und mitfahren musst. Es gibt so Tage, wo du losgehst und sagst ‚es ist heute kalt, es ist dunkel und es ist spät’ – alle fahren nach Hause zum Feierabend und du musst jetzt ins Theater fahren und arbeiten. Aber wenn du dann die Musik hörst, bist du so angefixt, und dann ist das eben wieder da, und wenn das gut läuft, also wenn alles mitspielt, der Kopf ist wach, die Stimme ist wach und die Kollegen geben die Energie, dann sind das die Sternstunden. Als wir den Ring hier gemacht haben, das war so ein tolles Ensemble, das ich zehn Jahre lang kannte. Das war echt wie eine große Familie und dann hast du so Abende, wo du echt high bist.
Gibt es noch etwas, das du noch nicht getan hast, das du gerne noch singen möchtest?
Ich wollte immer gerne Elektra singen, oder auch Klytaemnestra. Ich mag ja die etwas gebrochenen Rollen – nicht von Natur aus böse – deswegen wollte ich Salome nie singen. Die ist mir zu bewusst böse, aber z.B. Abigail – es gibt einen Punkt, wo sie erfährt, dass sie nicht die Königstochter ist, sondern adoptiert, und das macht etwas mit ihr. Oder Antigone, was wir hier gemacht haben, diesen Orff, wo du sagst, die ist eine ganze normale Person bis zu dem Moment, wo du sagst, du darfst deinen Bruder nicht beerdigen. Dann passiert etwas.
Und bei Lady Macbeth auch – ich will Macht haben, und dann ist das Morden zu viel. Klytaemnestra ist auch so eine, oder Elektra, wo sie sagt, ich grab den immer wieder aus. Es gibt bei denen immer einen Auslöser, wo sie anfangen, Amok zu laufen. Also nicht von Geburt an böse, sondern etwas passiert, und dann sind sie böse. Sie sind zwar brutal, aber man kann verstehen, warum sie den Weg gegangen sind.
Heute geht es mehr bei jungen Sängern darum, eine Nische zu finden, wo sie top sind. Du musst etwas finden, wo du sagst, ‚da bin ich besser als die anderen’.
Welchen Rat hast du für junge Sänger?
Durchhalten! Schlau sein, auf die eigene Stimme hören und schauen, was sie hergibt. Nichts wollen, wo man über die Grenze geht. An die Grenze muss man manchmal rangehen, und man muss beim Proben und beim Üben auch mal drüber hinaus gehen, um festzustellen‚ das war die Grenze. Wo du merkst, wenn ich mich da so quälen muss, dann ist das nicht der richtige Weg. Wenn du eine Rolle wirklich im Bauch spürst und diese singst, ohne heiser zu werden, dann soll man es auch ausprobieren.
Wenn man einen guten GMD2 oder einen guten Studienleiter3 hat, der sagt, lass uns das probieren, mach das, dann kann man auch mal etwas wagen. Es ist wichtig, sich nicht allzu abhängig von Agenten zu machen. Heute geht es mehr bei jungen Sängern darum, eine Nische zu finden, wo sie top sind. Du musst etwas finden, wo du sagst, ‚da bin ich besser als die anderen’. Du musst deine Spezialitäten servieren. Die jungen Leute sollten den Mut finden, Spezialität zu entwickeln.
Wenn man einen guten Agenten hat, der dich entwickeln will, dann geht er diesen Weg auch mit. Und dann geht man für vielleicht ein paar hundert Euro weniger in ein kleineres Haus, wo man sowas Spezielles probieren kann. Reich werden ist nicht das Ziel von Operngesang. Es gibt eine Handvoll, die das schaffen, aber ob sie glücklich sind, weiß ich auch nicht. Da wird auf jeden Ton so viel Wert gelegt. Der Druck, den sie haben von der Kritik und vom Publikum, ist immens. Da geht’s uns, glaube ich, in der zweiten oder dritten Reihe deutlich besser und wir machen keine schlechtere Kunst.
Was brauchst du als Sängerin von einem Dirigenten?
Ich bin ja jemand, der nicht hinguckt – ich höre eher aufs Orchester. Es gibt in meinen ganzen Jahren zwei oder drei Opern, wo ich gesagt habe, den Einsatz hätte ich gern. Ansonsten brauche ich das nicht, besonders wenn der Dirigent gut ist. Also bleibe ich lieber mit dem Orchester zusammen und man nimmt sich seine Töne, die man braucht. Ich wollte auch nie von den Monitoren abhängig sein! Einen guten Dirigenten brauchst du eigentlich in den Wochen vor den szenischen Proben, damit du Tempi ausprobierst, Atempausen und Übergange klärst, damit es organisch wird.
Vom Dirigenten erwarte ich einfach oder erhoffe ich mir eine musikalische Sichtweise, wo ich das Gefühl bekomme ‚ah, so habe ich Mozart noch nicht gesungen. Dann probiere ich das mal so.’ Immer versuchen, das ist wichtig.
Und vom Regisseur?
Vom Regisseur erwarte ich mehr. Ich erwarte, dass er das Stück kennt, dass er den Text kennt, wortwörtlich, auch wenn er ausländisch ist. Er soll Ahnung haben von Beziehungen – Personenführung. Und die Größe haben, wenn er feststellt, er hatte eine Idee, die nicht funktioniert, dass er das zugibt und nicht darauf beharrt.
Es darf kein Wettkampf zwischen Regie und Darsteller sein, sondern ein Team, das gemeinsam etwas entwickelt. Manchmal habe ich Regisseure erlebt, die richtig sauer waren, wenn man als Darsteller eine bessere Idee hatte. Es geht mir darum, dass die Rolle funktioniert und die Geschichte erzählt wird, und dass das Publikum es verstehen kann, auch wenn es chinesisch ist. Dass man auch ohne Übertitel durch die Beziehung zwischen zwei Leuten, durch die Energie auf der Bühne feststellt, ‘oh, ich glaube, die mögen sich’ bzw. ‘die holt gleich das Messer raus´– das kann man an der Energie erkennen.
Der Regisseur ist ein Spielleiter, der die Faden hält und sagt ‚den nehme ich jetzt mal ein bisschen kürzer und den lass ich laufen.’ Das ist die Kunst eines Regisseurs. Sie haben ein Konzept, das uns gut erklärt wird– ich muss es nicht gut finden, aber ich muss es verstehen – denn, wenn ich es begreife, kann ich es darstellen.
Das deutsche Theatersystem finde ich schon sehr gut und das sagen uns alle ausländischen Nationen…Aber wie gesagt, wenn man im Paradies lebt, weiß man nicht, dass man da lebt.
Wie sieht die Zukunft für die Oper aus? Muss sich etwas ändern, und fühlst du als Deutsche eine Verantwortlichkeit für das deutsche System?
Ich finde schon. Man sieht auch im Zuge von Corona, wie viele andere Länder jetzt sagen ‚ihr Deutschen, schützt euer deutsches Kultursystem!´. Das deutsche Theatersystem finde ich schon sehr gut und das sagen uns alle ausländischen Nationen. Sie sagen ‚mein Gott, ihr habt das Paradies hier!’ Aber wie gesagt, wenn man im Paradies lebt, weiß man nicht, dass man da lebt. Alle die, die im Ausland gearbeitet haben und zurückgekommen sind, sagen ‚oh Gott, wie gut es hier ist – wir müssen das schützen.´ Gerade das Ensembletheater – ich finde, man sollte ein bisschen mehr weg von diesen Gastverträgen. An den großen Staatsopern kann man sich das leisten, weil die durch den Tourismus ganz andere Besucherzahlen haben. Aber wenn ein deutsches System erhalten bleiben muss, dann das Ensembletheater. Das ist wie eine Familie und das macht den Reiz aus. Sich Gäste zu kaufen – das ist keine Kunst.
Ich würde ein Ensemble für mindestens fünf Jahre engagieren. Dann haben die Künstler Zeit zu sagen ‚das ist mein neues Zuhause´, da hast du einen GMD, der eine Handschrift entwickelt und du hast deine Opernfamilie.
Ich hoffe, dass das Ensembletheater bleiben kann. Man ist als Theater auch viel flexibler, als wenn du nur Gäste hast. Ein Theater muss seine Flexibilität behalten, dass man umswitchen kann. Ich bin total gegen diese vermeintlichen Stars, die ständig unterwegs sind und nur gelegentlich zur Verfügung stehen. Entweder sie haben sechs Wochen Zeit zu proben, oder ich engagiere sie nicht.
Anmerkungen und Links
Anmerkungen und Links
- Fach, (pl. Fächer) – Operngesangspartien im deutschsprachigen Raum werden nach dem System “Fach” kategorisiert. Jedes Fach entspricht einem Stimmtyp, und mit ihm gehen bestimmte Rollen einher. Beispiele für Fächer sind Dramatischer Sopran, Koloratursopran oder Heldentenor.
- GMD – Der Generalmusikdirektor, der Chefdirigent und Musikdirektor eines Opernhauses.
- Studienleiter – die Person, die dafür verantwortlich ist, dass alle Sängerinnen und Sänger des Opernhauses musikalisch auf ihre Rollen vorbereitet werden.
- Mehr über Katrin können Sie auf ihrer Website hier lesen.
- Auf der Website des Staatstheaters Darmstadt können Sie über bevorstehende Aufführungen lesen.